Am Morgen fuhren wir noch einmal ins Nationalreservat, denn wir wollten das Museo de Sitio Julio C. Tello besuchen, das sich mit der Paracas-Kultur beschäftigt – einer der ältesten bekannten Hochkulturen der Andenregion.

Dort angekommen ging es aber zuerst ins Interpretationszentrum des Nationalparks. Tatsächlich beeindruckt Peru nämlich nicht nur kulturell, sondern auch ökologisch: 21 Millionen Hektar des Landes stehen unter Schutz – das entspricht der vierfachen Fläche der Schweiz oder der doppelten Fläche Österreichs. Die Paracas-Bucht ist eines dieser Gebiete, ein Küstenökosystem, das gleichzeitig Wüste, Meer und Lebensraum für zahlreiche Vogelarten ist.

Blick vom Interpretationszentrum zum Meer

Perus Topografie trägt wesentlich zur enormen Biodiversität bei: Vom Meeresspiegel an der Küste kann man innerhalb weniger Stunden in die Hochanden aufsteigen und anschließend in den Amazonas-Regenwald hinabsteigen – eine klimatische Spannweite, die weltweit ihresgleichen sucht. Von den weltweit existierenden 117 Lebenszonen sind allein 84 in Peru vertreten.

„If there were a planetary catastrophe and I had the possibility to choose a country to save and reconstruct the planet, without a doubt, I would choose Peru.“

– David Bellamy, englischer Botaniker und Umweltaktivist

Auch der Ozean spielt eine Schlüsselrolle: Obwohl Perus Küstengewässer nur 0,1 % der Weltmeere ausmachen, liefern sie 10 % der weltweiten Fischerei-Erträge – vor allem durch den nährstoffreichen Humboldtstrom, der kaltes, sauerstoffreiches Wasser an die Oberfläche bringt. Seine Produktivität ist sogar aus dem All sichtbar: Satelliten erkennen die hohe Konzentration an Chlorophyll, dem grünen Farbstoff in Algen und Seegras, der Photosynthese ermöglicht. Im Gegensatz zu tropischen, meist klaren Gewässern ist der peruanische Ozean reich an organischen Stoffen – und voller Leben.

Zusätzlich wurden wir im Zentrum wieder von einer Schulklasse überrascht, die fröhlich durch die Ausstellung zog – wie auch das letzte Mal waren wir für viele der Kinder mindestens so spannend wie die Exponate selbst.

Fotoshooting mit einer Schülerin

Danach ging es für uns weiter zum Museo de Sitio Julio C. Tello, dem eigentlichen Ziel des Vormittags. Neben Keramik- und Textilfunden stand dort die faszinierende und in vieler Hinsicht auch befremdliche Körpermodifikation der Paracas-Kultur im Mittelpunkt. Besonders auffällig: verformte Schädel, die mit Hilfe von speziell konstruierten Wiegen systematisch geformt wurden. Diese sogenannten Deformationswiegen bestanden aus Rohrgeflecht, das mit Stofflagen gepolstert war. Neugeborene wurden über längere Zeit darin eingeschnürt, wobei gezielte Druckpunkte durch Bänder und Hölzer die gewünschte Kopfform erzeugten. Die Schädelform galt als soziales Erkennungsmerkmal – anhand bestimmter Formen konnte man ethnische Zugehörigkeit, Herkunft oder Gruppenzugehörigkeit ablesen. Es war eine visuelle Form von Identität.

Deformationswiege
Verformter Schädel

Ein weiterer Bereich widmete sich der frühen Chirurgie: Einige ausgestellte Schädel wiesen präzise Trepannationen auf – kreisrunde Öffnungen, die offenbar zur Behandlung komplexer Verletzungen durchgeführt wurden. Dabei entfernten die Paracas-Chirurgen nur das Knochenmaterial, ohne die empfindliche Hirnhaut zu verletzen.

Schädel mit kreisförmigen Loch

Neben den Schädeldeformationen bildeten die Bestattungspraktiken ein zweites zentrales Thema der Ausstellung. Besonders eindrucksvoll war das sogenannte Mumienbündel – eine typische Bestattungsform der Paracas-Kultur. Die kunstvoll gewebten Textilien, in denen die Verstorbenen eingehüllt wurden, dienten ausschließlich rituellen Zwecken und zeigen keine Spuren von Alltagsgebrauch. Ihr hervorragender Erhaltungszustand belegt dies eindrucksvoll. In den verschiedenen Lagen des Bündels fanden sich Grabbeigaben wie Keramikgefäße, Fischernetze, Angelhaken, Kürbisse, Muscheln oder Tierfelle – Gegenstände aus dem täglichen Leben, die den Verstorbenen vermutlich symbolisch mitgegeben wurden.

Mumienbündel

Am Ausgang des Museums trafen wir auf eine japanische Künstlerin, die vorbeikommende Besucher porträtierte und ihre Zeichnungen zu einem wachsenden Gemeinschaftskunstwerk an einer Wand arrangierte. Es war ein nettes Gespräch – und mein Porträt ist jetzt auch Teil dieser Wand.


Die Künstlerin, ihr Werk – und das Original

Normalerweise hatten wir sonst das Privileg, nicht nur Fundstücke, sondern auch die zugehörigen Ruinen vor Ort bewundern zu dürfen. In Paracas war das anders: Viele Stätten der gleichnamigen Kultur wurden im Lauf der Zeit durch Erosion, Grabräuberei oder Bebauung zerstört. Was erhalten blieb, liegt teils auf privatem Grund, mitten im heutigen Stadtgebiet oder weit draußen in der Wüste – und ist touristisch nicht erschlossen. Daher gab es dieses Mal „nur“ den Einblick in die Kultur durch das Museum.

Nach dem Museumsbesuch fuhren wir etwa 1,5 Stunden weiter nach Ica. Dort steuerten wir die Bodega y Viñedo Sotelo an, der einzige Pisco-Hersteller, bei dem wir übernachten durften.

Parkplatz bei Bodega y Viñedo Sotelo

Vor Ort hatten wir noch etwas Zeit für eine kleine Pause, bevor wir zu einer Führung über das Gelände aufbrachen. Gleich zu Beginn erklärte uns der Guide, dass Peru das einzige Land sei, das Pisco herstelle, und das was es in Chile gäbe nur klarer Schnaps sei. In Chile hingegen wurde darauf beharrt, dass Pisco dort erfunden worden sei, und die Peruaner ihn nur nachmachen würden. Der Betrieb Sotelo wird in Familienhand geführt und arbeitet überwiegend handwerklich. Die Angaben zur Gründung waren widersprüchlich: Laut unserem Guide gibt es die Bodega seit fast 100 Jahren, auf der Website ist von rund 150 Jahren die Rede. Jährlich werden hier etwa 40.000 Flaschen Pisco produziert.

Während der Führung bekamen wir den typischen Herstellungsprozess erklärt: Zuerst wird Wein aus lokalen Trauben wie Quebranta oder Italia gekeltert, anschließend wird dieser Wein in kleinen Kupferbrennblasen destilliert. Zum Abschluss durften wir mehrere Sorten probieren.

Weinreben
Fermentationtanks
Brennküche
Künstler gerade am Werk

Am Abend wollten wir uns dann einen Kartoffelsalat machen. Der plan scheiterte aber grandios. Nach gut 15 Minuten Kochzeit sahen die Kartoffeln so aus, als hätte jemand einen Dampfkochtopf falsch verwendet. Das ist eben das Risiko den riesigen Kartoffelvielfalt die es hier gibt.

Kategorien: Panamericana

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.